„Wir haben keine Zeit für Wartung!“ – Und genau deshalb brauchen wir sie
- Christian Lutz
- vor 4 Tagen
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Aktualisiert: vor 1 Tag

Warum der Dauerstress in der Instandhaltung kein Naturgesetz ist – und wie man aus dem Reaktionsmodus wieder in die Planung kommt
Störungen statt Struktur – wenn die Instandhaltung im Stress versinkt
Die Kaffeemaschine im Pausenraum läuft heiß, doch in der Werkstatt ist längst keine Ruhe mehr. Auf dem Whiteboard stapeln sich die offenen Störungen: Linie 3 meldet erneut Temperaturprobleme, an der Förderkette im Wareneingang schleift es, und ein Gabelstapler steht seit Freitag mit einem Hydraulikleck. „Wartung? Dafür haben wir wirklich keine Zeit!“, sagt der Schichtleiter mit müdem Blick – nicht zum ersten Mal.
Wer in der Instandhaltung arbeitet, kennt diese Situation. Wenn Störungen überhandnehmen, wird das Team zum Dauer-Feuerwehrtrupp. Jeder Tag beginnt mit einem Störungsbericht und endet mit der Hoffnung, dass die kritischen Maschinen wenigstens bis morgen durchhalten. Die eigentlich geplanten Wartungsmaßnahmen? Werden wieder verschoben. Man hat ja keine Zeit.
Doch genau hier liegt das Problem.
Wenn keine Zeit mehr für Wartung bleibt, liegt das selten an Faulheit oder schlechter Planung. Vielmehr ist es ein Ergebnis jahrelanger Verschiebung von Wartungsfenstern – oft aus Kostendruck oder Personalmangel. Die Folge: kleine Mängel werden zu großen Schäden. Aus lockeren Schrauben werden abgerissene Lager. Aus feinen Rissen werden Produktionsstillstände.
Je mehr Störungen auftreten, desto weniger Zeit bleibt, um systematisch zu arbeiten. Und je weniger systematisch gewartet wird, desto mehr Störungen treten auf. Es ist ein Teufelskreis – und viele Werkstätten drehen sich seit Jahren in diesem Hamsterrad.
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Vorbeugung im Chaos – geht das überhaupt?
Die gute Nachricht ist: Ja, es geht. Aber nicht mit der Brechstange – und nicht, indem man von heute auf morgen einen perfekten Wartungsplan einführt. Der Schlüssel liegt im Denken in kleinen, pragmatischen Schritten.
Denn viele Betriebe wissen zwar intuitiv, dass bestimmte Maschinen häufig Probleme machen. Aber ohne strukturierte Erfassung fehlt die Grundlage für Prioritäten. Wer die Störungen dokumentiert, erkennt Muster: etwa, dass 60 % aller Ausfälle sich auf fünf Anlagen konzentrieren – oder dass bestimmte Fehler immer montags nach der Nachtschicht auftreten. Erst mit diesem Wissen kann man gezielt eingreifen – und nicht jede Störung muss auch sofort erledigt werden.
Wer heute zwanzig Minuten findet, spart sich morgen zehn Stunden
Stellen wir uns einen typischen Fertigungsbetrieb mit zwölf Produktionslinien vor. Das Instandhaltungsteam besteht aus fünf Technikern, aufgeteilt in Mechanik und Elektrik. Jede Schicht kämpft mit durchschnittlich fünf bis acht Störfällen täglich. Ein Wartungsplan existiert – aber nur auf dem Papier.
Was tun? Statt direkt mit großen Revisionsprojekten zu beginnen, setzt der Leiter Technik einen anderen Hebel an: Er lässt alle Störungen über zwei Monate hinweg systematisch erfassen – inklusive Zeitaufwand, eingesetztem Personal und Maschinenstillstand. Parallel dazu bittet er jeden Techniker, nach jeder Störung kurz zu notieren, was aus seiner Sicht hätte verhindert werden können.
Das Ergebnis ist überraschend:
70 % der Störungen hätten sich mit einfachen Maßnahmen vermeiden lassen – zum Beispiel durch Schmieren, Nachziehen, Filterwechsel.
Viele der „kritischen“ Ausfälle betrafen nur wenige Kernanlagen.
Und: Oft fehlten keine großen Maßnahmen – sondern einfach nur Zeitfenster, in denen man diese hätte durchführen können.
Jetzt folgt Schritt zwei: Was sind die lohnendsten Wartungsmaßnahmen mit dem geringsten Aufwand?
Statt jede Maschine in ein komplexes SAP-Wartungsschema zu zwingen, priorisiert das Team nach Aufwand-Nutzen-Verhältnis. Drei Maßnahmen stehen ganz oben auf der Liste:
Schmierplan für die Hauptgetriebe in Linie 2
Sichtprüfung der Schaltschränke alle zwei Wochen
Austausch der Ansaugfilter im Kompressorraum
Alle drei Maßnahmen dauern jeweils unter 30 Minuten, erfordern kein Spezialwerkzeug – und könnten pro Woche zwei bis drei Ausfälle vermeiden. Das sind echte „low-hanging fruits“.
Das Team beginnt, diese Aufgaben gezielt in ruhige Produktionsphasen zu integrieren. An Freitagen, wenn weniger produziert wird. Oder morgens um 6:00 Uhr, bevor die ersten Maschinen anlaufen. So entsteht mit der Zeit ein Rhythmus – und eine erste positive Rückkopplung: Die Störungen nehmen leicht ab. Das Team merkt: Es funktioniert. Wenn Sie mehr zu verschiedenen Instandhaltungsstrategien erfahren möchten können Sie hier weiterlesen.
Wartung sichtbar machen – auch für die Geschäftsleitung
Nun kommt der nächste Schritt: Die gesammelten Daten werden in ein einfaches Dashboard überführt. Nichts Hochkomplexes – nur die wichtigsten KPIs:
Anzahl der Störungen pro Woche
Stillstandsdauer in Stunden
durchgeführte Wartungsmaßnahmen mit Zeitaufwand
geschätzte Einsparung durch vermiedene Ausfälle
Mit diesen Zahlen geht der Instandhaltungsleiter in die nächste GL-Sitzung. Statt über „gefühlte Überlastung“ zu sprechen, zeigt er:
Wie viele Stunden die Techniker in reaktive Einsätze investieren
Wie wenig Zeit für präventive Maßnahmen bleibt
Und welche Hebel es gäbe – wenn man z. B. eine halbe Stelle für Wartung freistellen würde
Das ändert die Gesprächsbasis. Wartung ist jetzt keine „Kostenstelle“ mehr, sondern ein Steuerungshebel mit messbarem Effekt.
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Zeitfresser eliminieren – am Beispiel Ersatzteillogistik
Ein letzter Aspekt darf nicht fehlen: Die internen Zeitfresser.
Ein Dauerproblem in vielen Betrieben ist das Ersatzteillager. Techniker verbringen wertvolle Minuten – oft Stunden – mit der Suche nach dem richtigen Teil. Oder sie brechen Wartungsarbeiten ab, weil das passende Material fehlt.
Auch hier hilft eine einfache Maßnahme:
Kennzeichnung der wichtigsten Ersatzteile mit QR-Codes
Einführung eines digitalen Lagerbuchs (z. B. per Tablet oder Smartphone)
Definition von Mindestbeständen für kritische Teile
Die eingesparte Zeit wird direkt für Wartung verwendet. Eine Investition in Organisation – mit sofort spürbarem Effekt. Wie sie in 5 einfachen Schritten Ihr Ersatzteilmanagement optimieren können erfahren Sie hier.
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Fazit: Wer keine Zeit für Wartung hat, braucht sie am dringendsten
Natürlich ist es verständlich, dass in einem stressigen Produktionsumfeld Wartung oft wie ein Luxus wirkt. Aber wer langfristig überleben will, muss genau da ansetzen. Nicht mit Perfektion – sondern mit Pragmatismus.
Denn jede vermiedene Störung spart nicht nur Geld, sondern auch Nerven, Überstunden und Frust. Und wer seinem Team zeigt, dass Wartung wirkt, motiviert zur Mitarbeit. Der Weg raus aus dem Reaktionsmodus beginnt nicht mit großen Worten, sondern mit kleinen Erfolgen.
Und manchmal mit einem einfachen Satz:„Lass uns morgen früh mal kurz an der Linie 2 anfangen – nur 20 Minuten.“
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