Fachkräftemangel in der Instandhaltung: Ursachen, Folgen und was erfolgreiche Betriebe anders machen
- Christian Lutz
- 23. Juni
- 8 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 23. Juni

Der Fachkräftemangel ist längst kein abstraktes Zukunftsproblem mehr – er ist real, messbar und trifft die Industrie im deutschsprachigen Raum mit voller Wucht. Ein aktueller Blick auf den Fachkräftemangel-Index der Industrie- und Handelskammer Schweiz zeigt, wie ernst die Lage ist: Unter den zehn am stärksten betroffenen Berufsgruppen stammen acht aus dem technischen Bereich – darunter Elektroniker, Anlagenmechaniker, Maschinenbauer und Telekommunikationstechniker. Genau die Berufe also, auf die Instandhaltungsabteilungen in Industrie und öffentlicher Infrastruktur tagtäglich angewiesen sind.
Diese Entwicklung hat tiefgreifende Folgen: Wenn Fachkräfte fehlen, bleiben Wartungsarbeiten liegen, Anlagen laufen unzuverlässiger, ungeplante Stillstände häufen sich – und das alles bei steigenden Anforderungen an Verfügbarkeit, Energieeffizienz und Dokumentationspflichten.
Doch was macht die Situation in der Instandhaltung so besonders kritisch? Und was können Unternehmen konkret tun, um gegenzusteuern? Genau diesen Fragen geht dieser Artikel auf den Grund – mit Fokus auf den DACH-Raum, konkreten Zahlen und praxisnahen Lösungsansätzen.
Wenn Erfahrung geht und Nachwuchs ausbleibt: Die Problemstellung
Der Fachkräftemangel in der Instandhaltung ist kein vorübergehendes Phänomen – er ist strukturell bedingt und verschärft sich weiter. Bereits 2022 verzeichnete der Sektor einen Anstieg offener Stellen um 38 % im Vergleich zum Vorjahr. Viele dieser Stellen bleiben unbesetzt, weil es schlichtweg an qualifizierten Bewerbern fehlt.
Ein zentraler Treiber dieser Entwicklung ist der demografische Wandel: Immer mehr erfahrene Fachkräfte erreichen das Rentenalter – und mit ihnen verschwindet oft jahrzehntelang aufgebautes Erfahrungswissen. Gleichzeitig bleibt der Nachwuchs aus. Technische Berufe, insbesondere in der industriellen Instandhaltung, gelten bei jungen Menschen als wenig attraktiv. Das Image: veraltet, körperlich belastend, wenig sinnstiftend – und kaum sichtbar im gesellschaftlichen Diskurs.
Zugleich steigen die Anforderungen an Instandhaltungsteams rapide. Digitalisierung, vernetzte Systeme und automatisierte Anlagen verändern die tägliche Arbeit grundlegend. Ältere Mitarbeitende stoßen hier häufig an digitale Kompetenzgrenzen, während Jüngeren zwar theoretisches IT-Wissen, aber oft die praktische Erfahrung im Umgang mit komplexen Anlagen fehlt.
Hinzu kommt ein strukturelles Wissensproblem: Wird das Erfahrungswissen der scheidenden Generation nicht systematisch dokumentiert und weitergegeben, reißt eine Lücke auf, die sich auch mit neuen Kräften nicht sofort schließen lässt. Der Verlust von Know-how schlägt sich letztlich in einer spürbaren Abnahme von Verfügbarkeit, Qualität und Sicherheit nieder – mit direkten Auswirkungen auf Produktion und Betriebskosten.
Was Unternehmen versuchen – und was nicht funktioniert
Die Herausforderungen des Fachkräftemangels sind in vielen Unternehmen längst erkannt – entsprechend vielfältig sind die Gegenmaßnahmen. Doch trotz steigender Investitionen in Rekrutierung, Weiterbildung und Technologie bleiben viele dieser Ansätze hinter den Erwartungen zurück.
Ein häufig genutzter Hebel sind höhere Gehälter, Prämien und Zusatzleistungen, um bestehende Fachkräfte zu halten oder neue zu gewinnen. Doch der Wettbewerb um qualifiziertes Personal ist so groß, dass diese Anreize oft nicht ausreichen – insbesondere in strukturschwachen Regionen oder bei weniger bekannten Arbeitgebern. Zudem ist dieser Weg für viele Betriebe wirtschaftlich begrenzt: Nicht jedes Unternehmen kann mit immer höheren Löhnen konkurrieren, ohne an anderer Stelle Einschnitte vorzunehmen.
Hinzu kommt eine dynamische Nebenwirkung: Wenn ganze Branchen kollektiv die Gehälter anheben, entsteht eine Lohnspirale nach oben, die zwar kurzfristig Vorteile für die Fachkräfte bringt, für die Unternehmen jedoch zunehmend zur Belastung wird – vor allem in margenschwachen Industriezweigen oder im kommunalen Bereich. Langfristig drohen dadurch Investitionsstaus, Wettbewerbsnachteile oder Verdrängungseffekte zugunsten finanzstärkerer Akteure.
Fazit: Höhere Gehälter können ein Teil der Lösung sein – sind aber keine nachhaltige Strategie, wenn sie nicht durch strukturelle Maßnahmen flankiert werden.
In der Praxis reagieren viele Betriebe mit Zeitarbeit, Fremdvergabe oder Überstunden, um kurzfristige Engpässe zu überbrücken – doch jede dieser Maßnahmen bringt eigene Herausforderungen mit sich:
Zeitarbeit verursacht meist höhere Personalkosten pro Stunde und bringt oft nur begrenzte Fachkenntnisse mit – besonders im spezialisierten Umfeld der Instandhaltung. Zudem wechselt das Personal häufig, was Einarbeitungsaufwand und Qualitätsprobleme mit sich bringt.
Fremdvergabe an externe Dienstleister kann gewisse Aufgaben abfedern, führt aber oft zu einem Verlust von internem Know-how und macht den Betrieb abhängig von externen Reaktionszeiten und Verfügbarkeiten. Zudem sinkt häufig das Verantwortungsgefühl gegenüber der Anlage.
Überstunden belasten das Stammpersonal direkt. Kurzfristig mag dies funktionieren – langfristig steigt jedoch das Risiko von Überlastung, Unzufriedenheit und gesundheitlichen Ausfällen. Die Motivation leidet, Fehler häufen sich, und die Fluktuation nimmt zu.
Gemeinsam ist allen drei Maßnahmen: Sie helfen nur kurzfristig – und verschärfen bei Daueranwendung die strukturellen Probleme. Ohne flankierende Maßnahmen wie Prozessoptimierung, Wissenssicherung und gezielten Kompetenzaufbau bleiben sie eine teure und riskante Zwischenlösung.
Programme zur Nachwuchsgewinnung – etwa durch Ausbildungsplätze, Schulkooperationen oder Praktika – stoßen häufig auf geringe Resonanz. Das Berufsbild „Instandhaltung“ ist in der öffentlichen Wahrnehmung wenig präsent und leidet unter einem veralteten Image, das kaum Begeisterung bei Jugendlichen weckt.
Auch Investitionen in moderne Automatisierungstechnik und digitale Tools können den Fachkräftemangel abfedern – wenn sie richtig eingeführt und genutzt werden. In der Praxis zeigt sich jedoch: Viele Systeme bleiben hinter ihrem Potenzial zurück, nicht weil sie schlecht sind, sondern weil im Betrieb die nötigen Voraussetzungen fehlen – etwa klare Zuständigkeiten, Schulungen oder technisches Verständnis.
Wenn etwa mobile Wartungstools vorhanden sind, aber niemand sie regelmäßig pflegt, oder wenn Sensorikdaten gesammelt, aber nicht interpretiert werden, verpufft der Nutzen. Umso wichtiger ist es, Digitalisierung nicht nur als Einkaufsthema, sondern als gezielte Umstellung im Betrieb zu verstehen mit klarer Verantwortung und Team-Einbindung zu verstehen.
Doch was bedeutet das konkret für den Betriebsalltag? Wenn bewährte Maßnahmen ins Leere laufen, zeigen sich die Folgen nicht nur auf dem Papier – sondern ganz real in Kosten, Qualität und Sicherheit.
Wenn Instandhaltung unterbesetzt ist: Kosten steigen, Wissen geht, Teams leiden
Der Fachkräftemangel in der Instandhaltung ist längst kein isoliertes Personalproblem mehr – er hat direkte Auswirkungen auf die Funktionsfähigkeit, Wirtschaftlichkeit und Innovationskraft von Unternehmen im DACH-Raum. Viele dieser Auswirkungen zeigen sich schleichend – doch sie sind strukturell tiefgreifend.
Produktionsverzögerungen und steigende Betriebskosten gehören zu den unmittelbarsten Konsequenzen. Wenn Maschinen nicht rechtzeitig gewartet oder Störungen nicht schnell genug behoben werden können, sinkt die Verfügbarkeit. Ungeplante Stillstände häufen sich – und die daraus resultierenden Kosten sind oft höher als jede präventive Maßnahme.
Gleichzeitig geraten die verbleibenden Instandhaltungsteams zunehmend unter Druck. Die Überlastung von Fachkräften führt nicht nur zu sinkender Arbeitszufriedenheit, sondern erhöht auch das Risiko von Fehlern, Sicherheitsvorfällen und krankheitsbedingten Ausfällen – was den Personalmangel weiter verstärkt.
Ein weiteres Problem: Innovationsprozesse stocken, wenn das nötige Know-how fehlt. Moderne Instandhaltung erfordert heute nicht nur mechanisches Geschick, sondern auch Kenntnisse in Sensorik, Datenanalyse, Softwareintegration und Automatisierung. Fehlen diese Fähigkeiten im Unternehmen, können neue Technologien nicht effizient eingeführt oder genutzt werden – und Investitionen bleiben unter ihrem Potenzial.
Langfristig gefährdet der Mangel an qualifiziertem Instandhaltungspersonal sogar die Wettbewerbsfähigkeit von Betrieben. Denn nur wer seine Anlagen effizient und verlässlich betreiben kann, bleibt im internationalen Vergleich lieferfähig und kostenstabil. In Branchen mit dünnen Margen oder hoher Exportabhängigkeit kann der Fachkräftemangel schnell zu einem echten Standortnachteil werden.
Auch Audits und Zertifizierungen werden durch den Fachkräftemangel zunehmend zur Herausforderung. Wenn Wartungen nicht lückenlos dokumentiert, Prüfintervalle nicht eingehalten oder Verantwortlichkeiten unklar sind, gerät nicht nur der Betrieb ins Stocken – auch externe Prüfungen werden schwieriger zu bestehen. Besonders in regulierten Branchen kann das zu Auflagen, Nachbesserungen oder im schlimmsten Fall zum Verlust wichtiger Zertifizierungen führen. Ein stabiles Instandhaltungsteam ist daher nicht nur betriebsintern relevant, sondern zunehmend auch ein Prüfstein für externe Nachweise und Qualitätsstandards.
Besonders kritisch: Der Verlust an Erfahrungswissen. Wenn ältere Mitarbeitende ausscheiden und ihr Wissen nicht gesichert wurde, entstehen Lücken, die sich kurzfristig nicht schließen lassen. Dies wirkt sich nicht nur auf die Effizienz, sondern auch auf die Betriebssicherheit und Lebensdauer der Anlagen aus – ein Risiko, das viele Unternehmen noch unterschätzen.
Was erfolgreiche Betriebe anders machen
Betriebe können den Fachkräftemangel nicht abschaffen – aber sie können strategisch klüger damit umgehen als andere. Die gute Nachricht: Wer heute gezielt investiert, Prozesse verschlankt und Wissen absichert, hat morgen einen entscheidenden Vorteil.
1. Know-how sichern, bevor es geht
Viele Unternehmen verlieren wertvolles Wissen, weil Übergaben nicht geplant sind. Wer heute systematisch Erfahrungswissen dokumentiert – z. B. durch kurze Video-Tutorials, digitale Wartungsanleitungen oder Tandemmodelle zwischen Alt und Jung – baut ein stabiles Fundament auf, auch wenn Personal fehlt oder wechselt.
Praxis Tipp: Besonders wirkungsvoll ist der Aufbau einer digitalen Anlagenhistorie: Sie dokumentiert alle durchgeführten Wartungen, Prüfungen, Reparaturen und Störungen nachvollziehbar und zentral. So ist jederzeit ersichtlich, was an welcher Anlage wann gemacht wurde – und warum. Das reduziert Einarbeitungszeiten, erleichtert die Fehlersuche und macht die Instandhaltung unabhängiger vom Erfahrungswissen einzelner Personen. Zudem bildet die Historie oft die Grundlage für externe Audits, Risikobewertungen oder Investitionsentscheidungen. |
2. Prozesse verschlanken, statt Personal zu überfordern
Nicht jede Meldung muss automatisch zu einem Auftrag führen – und nicht jede Wartungsempfehlung des Anlagenherstellers oder Schmiermittellieferanten muss blind übernommen werden. Viele Betriebe tappen in die Falle, jede Anforderung sofort umzusetzen – und erzeugen so unnötige Belastung für das ohnehin knappe Fachpersonal.
Wer hier gezielt analysiert, kann häufig vereinfachen: Auf Basis der Anlagenhistorie lässt sich schnell erkennen, welche Maßnahmen tatsächlich notwendig waren – und welche nicht. Eine systematische Überprüfung der Wartungszyklen und Empfehlungen hilft, Routineaufgaben zu priorisieren, Intervalle sinnvoll anzupassen und redundante Maßnahmen zu streichen.
Das entlastet die Instandhaltung, ohne die Betriebssicherheit zu gefährden – im Gegenteil: Es schafft Raum für wichtigere Aufgaben wie Störungsanalyse, Ursachenforschung oder Schulung neuer Kolleginnen und Kollegen.
3. Technisches Personal intelligent entlasten
Nicht jede Tätigkeit in der Instandhaltung muss zwingend von einer voll ausgebildeten Fachkraft ausgeführt werden. Wer Aufgaben gezielt trennt – z. B. zwischen operativer Wartung, Dokumentation, Lagerbewirtschaftung und administrativer Vorbereitung – kann das bestehende Personal effektiver einsetzen und entlasten.
Praxisbeispiele zeigen, wie das gelingen kann:
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Solche klare Rollentrennung macht die Instandhaltung nicht nur effizienter, sondern steigert auch die Zufriedenheit im Team – weil Fachkräfte genau dort eingesetzt werden, wo ihr Können den größten Effekt hat.
4. Digitalisierung mit Augenmass
Smarte Wartungssoftware, digitale Anlagendokumentation oder einfache Sensorlösungen können helfen, Stillstände zu vermeiden – selbst bei knappen Personalressourcen. Wichtig ist: Technik muss verständlich, praxisnah und intuitiv bedienbar sein.
Das funktioniert nur, wenn das Team mitgenommen wird (wie Sie auch kritische Mitarbeiter überzeugen können Sie hier herausfinden). Anstatt allgemeiner Schulungen für alle, braucht es punktgenaue Einführungen: Schulungen genau für die Module und Prozesse, die im Alltag tatsächlich verwendet werden – etwa das Melden von Störungen per APP, die Rückmeldung von Aufträgen oder der Zugriff auf die digitale Anlagenhistorie. Kleine Lerneinheiten mit Kollegen sind dabei oft einfacher einzubauen als einmalige Workshops über 1-2 Tage. So wird aus der Software kein zusätzlicher Ballast, sondern ein echtes Hilfsmittel – und die Mitarbeitenden gewinnen Sicherheit, Akzeptanz und Motivation im Umgang mit digitalen Tools.
5. Mehr als nur Effizienz: Digitalisierung macht den Beruf attraktiver
Digitale Instandhaltung ist nicht nur ein Effizienzthema – sie hat auch einen entscheidenden Einfluss auf die Außenwirkung. Wer mit Tablets, Apps und einer gut strukturierten Wartungssoftware arbeitet, zeigt: Hier wird modern gearbeitet. Das wirkt besonders auf junge Fachkräfte und Auszubildende attraktiver als veraltete Prozesse mit Papierformularen, unleserlichen Laufzetteln und „Geheimwissen in Köpfen“.
Ein Betrieb, der digitale Standards lebt, signalisiert Zukunftsfähigkeit – und bietet Nachwuchskräften eine Umgebung, in der sie sich mit ihren digitalen Fähigkeiten einbringen können. Das kann bei der Gewinnung und Bindung junger Talente den entscheidenden Unterschied machen.
Fazit: Wer vorbereitet ist, bleibt leistungsfähig – und dem Wettbewerb einen Schritt voraus
Der Fachkräftemangel in der Instandhaltung wird nicht verschwinden – doch er trifft nicht alle Betriebe gleich hart. Unternehmen, die heute klug handeln, können ihre Strukturen so aufstellen, dass sie auch mit weniger Personal stabil, effizient und auditfähig bleiben.
Dazu braucht es keine großen Budgets, sondern klare Entscheidungen:
Wissen sichern und zugänglich machen,
Rollen trennen und gezielt entlasten,
Wartungszyklen analysieren statt blind abarbeiten,
digitale Werkzeuge verständlich einführen und sinnvoll nutzen.
Wer diese Hebel jetzt in Bewegung setzt, verschafft sich einen realen Vorsprung gegenüber jenen, die abwarten oder nur punktuell reagieren. Nicht nur, weil Ausfallzeiten sinken und Abläufe robuster werden – sondern auch, weil der Betrieb als moderner, attraktiver und zukunftsfähiger wahrgenommen wird.
Der Unterschied liegt nicht im Problem – sondern in der Art, wie man ihm begegnet.
5 Dinge, die Sie jetzt tun können – um dem Fachkräftemangel in der Instandhaltung aktiv zu begegnen
Wissen sichern, bevor es geht 📌 Digitale Anlagenhistorie aufbauen 📌 Erfahrungswissen dokumentieren & weitergeben
Rollen gezielt entlasten 📌 Reinigungs- und Schmierarbeiten an Produktion übergeben 📌 Bürokräfte für Rückmeldung & Doku einbinden 📌 Technischer Einkauf unterstützt AVOR & Lagerstruktur
Wartungszyklen kritisch hinterfragen 📌 Empfehlungen analysieren, nicht blind übernehmen 📌 Rückmeldungen auswerten – Aufwand und Nutzen abgleichen
Digitale Tools mit Augenmaß einführen 📌 Apps und Wartungssoftware verständlich machen 📌 Schulungen im Arbeitsumfeld
Attraktivität nach außen sichtbar machen 📌 Weg von Papier und „Geheimwissen“ 📌 Moderne Werkzeuge, klare Prozesse, sichere Einarbeitung
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